Der Mensch dessen Bioenergien in Balance sind, dessen Verdauungsfeuer stark ist, der kräftige Gewebe hat, dessen Ausscheidungen normal funktionieren und dessen Seele, Geist und Sinne in Harmonie sind, wird als gesund bezeichnet.
Sushruta
Was ist Ayurveda und woher kommt es?
Denkst du bei dem Wort Ayurveda an duftende Wellnessmassagen, Kochbücher nach dem Schubladensystem, Detox und Antiaging? Dann möchte ich dir im folgenden einen kleinen Einblick geben, was Ayurveda wirklich ist, woher es kommt und was es kann.
Ayurveda ist die über 3000 Jahre alte traditionelle Medizin Indiens. In der westlichen Welt von heute ist sie aufgrund ihrer hohen Wirksamkeit, kombiniert mit einem Touch von Mystik, zu einem Modetrend mutiert. Doch das wird ihr nicht gerecht. Sie ist so viel mehr als das. Es handelt sich um ein altbewährtes ganzheitliches Heilsystem der Erfahrungsmedizin. Wie jedes ganzheitliche System der Medizin zielt es darauf ab, Body, Mind und Spirit in Balance zu bringen, um wahre Gesundheit zu erlangen. Dazu bezieht sie sehr stark den gesamten Lifestyle mit ein, besonders im Hinblick auf Ernährung, Bewegung und Stressreduktion mittels Aufbau einer bewussteren inneren Haltung.
Das Wort Ayurveda setzt sich zusammen aus den Silben „Ayus“ = Leben und „Veda“ = Gesundheit. Ayurveda ist also die Lehre vom Leben, es ist die Lehre von den Naturgesetzen, die zeitlos sind und ewiglich Geltung haben: Der Legende nach wurde diese Lehre den Menschen von den Göttern geschenkt. Rischis, die Seher oder weisen Männer das altehrwürdigen Indiens, haben sie einst in Empfang genommen. Lange Zeit wurde sie nur nur mündlich weiter gegeben. Erst vor etwa 3000 Jahren kam es dann zu ersten Niederschriften. Die bedeutsamsten davon sind die Characasamhita und die Shushrutasamita. Sie werden in Ayurveda-Büchern der Neuzeit des Öfteren zitiert.
Wie das Wort „Veda“ vermuten lässt, besteht ein Bezug zu den Veden, den weisen und philosophischen Schriften Indiens, deren Essenz am Ende die Upanishaden sind. Ayurveda entspringt dem Veda und ist ein Bestandteil von diesem. Der Veda vermittelt die Sprach der Natur, das Wissen um die ewigen Gesetze des Lebens, die Natur des Lebens, vom funktionieren der Gestirne bis hin zum Wesen des Menschen. Danach entsprechen sich Mikro- und Makrokosmus, Individuum und Universum. Der Mensch ist Teil der Natur und zugleich ihr Abbild.
Philosophische Hintergründe
Die beiden wesentlichsten Philosophiesysteme die Eingang in die ayurvedische Medizin gefunden haben sind Shankya-Yoga und Nyaya-Vaisheshika.
Die Vaisheshika-Philosophie teilt die Welt nach ihren Eigenschaften ein. Dabei sollen sich gleiche Eigenschaften gegenseitig verstärken, während entgegengesetzte einander ausgleichen. Diese Erkenntnis ist zu einem der wesentlichsten Therapiekonzepte im Ayurveda geworden: der Heilung durch Gegensätzliches.
Nach der Shankya-Philosophie besteht der Sinn des Lebens darin, uns unseres wahren Wesens mehr und mehr zu erinnern, das reines Bewusstsein ist. Dieses reine Bewusstsein, Purusha genannt, hat sich verbunden mit Materie, Prakriti, der Urnatur, um bestimmte Erfahrungen in dieser Welt machen zu können. Purusha, deine wahre Natur bzw. die Natur deines wahren Selbst, ist reine Energie. Seine Eigenschaften sind sat chit ananda = ewig, allwissend, glückseelig. Die Eigenschaften alles Materiellen und damit Vergänglichem hingegen, gliedern sich auf in die 3 Gunas: Sattwa (Reinheit, reines Wissen, Bewusstsein, Tugend), Rajas (Bewegung, Aktivität, Dynamik) und Tamas (Unreinheit, Unwissenheit, Trägheit). Die Prakriti ist ohne Bewusstsein, also unfähig etwas zu empfinden, daraus Bedürfnisse aufkommen zu lassen und damit die Motivation zu entwickeln etwas zu wollen. Purusha hingegen ist ewiglich in sich ruhend, unfähig zu handeln, etwas zu tun. Erst wenn beide sich vereinen, können sie Großes bewirken. Der Geist wünscht und die Materie führt aus.
Das Ego, Ahankara führt Purusha nun sehr gerne einmal in die Irre und verführt ihn dazu, sich mit der Materie zu identifizieren und zu verwechseln. Das „ICH WILL“ ist geboren. Damit kommt das Leiden in die Welt.
Der denkende Geist, Manas, unterstützt das Ego indem es zusätzlich noch Anziehung und Ablehnung erzeugt. Gier und Hass kommen auf und verstärken das Leiden.
Damit das ganze zuverlässig funktioniert, bedarf es darüber hinaus der 5 Tanmatras, der 5 Urelemente, die für die Wahrnehmung über die Sinne zuständig sind. Denn ohne deine Fähigkeit der Wahrnehmung über die Sinne, ist kein Reiz in der Welt in der Lage irgend etwas in dir auszulösen. Es gibt dann ganz einfach keinen Empfänger, der in der Lage ist ihn wahrzunehmen und zu beantworten.
Je mehr du fähig bist diese ganze Täuschung, Maja, bewusst zu beobachten und zu durchblicken, desto mehr dringst du zu deiner wahren Natur vor. Je mehr du deine wahre Natur entdeckst und im Einklang mit Gott und den Naturgesetzen lebst, desto gesünder, vitaler, fitter und leistungsfähiger bist du.
Nicht-erkennen von Purusha, deinem wahren Selbst, und abweichen von deiner wahren Natur, Prakriti, hält dich gefangen im Kreislauf von Geburt, Krankheit, Alterung und Tod, im Rad von Samsara, dem Rad des irdischen Lebens, mit seinem Schmerz und Leid, das Werden und Vergehen, ebenso wie Hass, Gier und Verblendung mit sich bringt.
Echte Heilung bedingt eine Rückkehr, ein sich erinnern und neu entdecken deines wahren, von Natur aus gegebenen Selbstes in seiner ganzen Kraft und Schönheit.
Das ist es, worum es im Ayurveda im Kern eigentlich geht
Krankheitsursachen aus Sicht der ayurvedischen Medizin
Alles was im nicht Prakriti (gesunde Urnatur) ist, gilt im Ayurveda als Vikriti. Vikriti ist jede Abweichung von Prakriti. Diese führt zu funktionellen Störungen und letztlich zur Krankheit. Die Wurzel des Übels liegt dabei wie soeben dargestellt in einem Leben gegen die eigene Natur.
Krankheiten fallen nicht vom Himmel, sie sind das Ergebnis deiner Gewohnheiten, wusste bereits Hippokrates.
Oder um es mit Aristoteles zu sagen: Du bist das, was du wiederholt denkst, fühlst und in Folge dessen tust.
Ungute Gewohnheiten können dabei begründet sein in Fehlern des Verstandes. Dazu gehören fehlende Unterscheidungsfähigkeit zwischen dem was dir gut tut und deine Natur unterstützt, sowie dem was dir nicht gut tut und deiner Natur zuwider läuft.
Des weiteren zu nennen wäre fehlende Willenskraft oder besser gesagt, fehlende Vorstellungskraft von dem was deine Natur stärkt und ihr Kraft gibt und was nicht. Ist deine Vorstellung klar und fokussiert, ersetzt sie jeden Willen bei der Verwirklichung.
Als letzter Fehler des Intellekts zu nennen wäre noch fehlendes Bewusstsein im Hinblick auf die Auswirkungen deines Verhaltens. Leben im Hier und Jetzt ist sehr gut, Auswirkungsbewusstsein ist im Falle von Energie fressenden, krankheitsfördernden Gewohnheiten ist besser.
Ungute Gewohnheiten können zudem begründet sein in allen Abweichungen vom „goldenen Mittelweg“. Alle exzessiven Verhaltensweisen wären hier zu nennen, sowohl im Sinne von zu viel, als auch im Sinne von zu wenig. Neben einem Mangel oder Überschuss, kann auch ein fehlerhafter Gebrauch deines Körpers, deines Geistes oder deiner Sinne zu Dysbalance und damit Krankheit führen..
Letztlich an dieser Stelle zu nennen wäre noch ein unpassender Umgang mit der Zeit oder mit klimatischen, jahreszeitlichen Faktoren. Es ist nicht zwingend erforderlich im Winter in einem Bergsee baden zu gehen – auch wenn das was dich nicht umbringt dich manchmal stark machen kann.
Falls du dich gerade an der einen oder anderen Stelle wiedererkannt haben solltest, mach dir bitte weder Sorgen noch Selbstvorwürfe. Mit der richtigen Technik ist es leicht energiezehrende Gewohnheiten schon ganz bald zu ersetzen durch solche die deine Energie nähren und dein gesamtes System wieder in Balance bringen. Manchmal musst du erst einen Fehler machen, um zu lernen wie es optimaler ist. Es ist kein Problem Probleme zu haben, es ist nur ein Problem deine Probleme nicht zu erkennen.
Manifestation von Krankheit im Körper
Der Hauptgrund dafür dass Krankheiten sich im Körper manifestieren können, liegt laut Ayurveda in den Verdauungsorganen, genauer gesagt in einer Schwächung von Agni, deinem Verdauungsfeuer. Ist Agni schwach, kann die Nahrung nicht mehr verdaut werden. Unverdaute Nahrungsbestandteile sammeln sich an, lagern sich in Körperkanälen und Energiebahnen ab, gären vor sich hin und bilden letztlich Ama. Ama sind Stoffwechselschlacken oder -Toxine. Diese wandern dann in die Gewebe und schädigen die Organe bzw. stören zumindest ihre Funktionen.
Weitere Gründe für Entstehung von Ama und damit Krankheit sind übermäßige Toxin-Zuführung von Außen, etwa durch industriell gefertigte oder mit Schwermetallen belastete Nahrung, sowie übermäßiger Stress und niedrig schwingende Gefühlszustände, die zu geistigem Ama führen.
Frühwarnsignale die auf ein schwaches Agni hinweisen sind Verdauungsprobleme nach dem Essen, mit Aufstoßen, Blähungen, Völlegefühlen, Schweregefühl, besonders im Bauch, Müdigkeit und Energielosigkeit. Hat sich bereits Ama angesammelt, erkennst du das an einem üblen Geruch und einem grau-weißen, klebrigen, festsitzenden Zungenbelag.
Bei Fortschreiten kommt es zu Störungen der Immunfunktion (Infekte, Allergien, Krebs) und der Fortpflanzungsfunktion.
Als einfache Selbsthilfemaßnahme um Agni zu stärken und Ama zu reduzieren empfiehlt sich das regelmäßige Trinken von Ayurveda-Wasser über den Tag verteilt. Dazu kochst du dir morgens 1,5 – 2 Liter Wasser für 10 Minuten ab, füllst es in eine Thermoskanne ab und trinkst alle 1 – 2 Stunden eine Tasse davon. Unmittelbar vor und 1 – 2 h nach einer Mahlzeit solltest du nichts trinken. Das würde Agni verdünnen bzw. löschen. Zur besseren Wirksamkeit kannst du den Saft einer halben Zitrone oder Zitronenöl in die morgendliche Portion geben. Besonders in der kalten Jahreszeit kann auch die Zugabe von Ingwer sehr wohltuend sein. Auf kalte Speisen und Getränke solltest du möglichst ganz verzichten, da sie Agni weiter schwächen würden.
Ein ausgebildeter Therapeut kann dir zudem eine auf deinen Konstitutionstyp passende Kräutermischung zusammenstellen, sowie das Agni anfachende Atemübungen zeigen.
Die 3 Doshas oder Bioenergien
Eine ganz zentrale Rolle im Ayurveda nimmt die der individuellen Konstitution entsprechende Diagnose und Therapie ein. Dabei werden 3 Konstitutionstypen unterschieden. Selten liegen sie jedoch rein oder zu exakt gleichen Anteilen gemischt vor. Die meisten Menschen sind Mischtypen mit individuell variierenden Anteilen der drei Haupttypen.
Die 3 Haupttypen möchte ich dir im folgenden kurz vorstellen. Es handelt sich um:
Kapha = Prinzip der Struktur
Kapha setzt sich zusammen aus den Elementen Erde und Wasser. Es ist stabil, unbeweglich, feucht, schwer, kalt, schleimig, weich und süß
Die Wurzel von Kapha befindet dich im Magen, sein Sitz ist vor allem im Bereich von Kopf, Nacken, Schultern bis oberem Brustkorb.
Pitta = Prinzip der Funktion ( besonders bezogen auf den Stoffwechsel)
Pitta trägt die Eigenschaften der Elemente Feuer und Wasser in sich. Es ist heiß, flüssig, ölig, scharf, sauer und penetrierend. Es ist aus sich selbst heraus unbeweglich, lässt sich aber leicht bewegen.
Die Wurzel von Pitta befindet sich im Dünndarm, sein Sitz ist im Rumpfbereich.
Vata = Prinzip der Bewegung
Vata entspricht dem Luft- und Raum-Element. Es ist kalt wie Kapha, jedoch sehr beweglich, wie der Wind. Es ist rauh. trocken, leicht, klar und wie Pita penetrierend
Die Wurzel von Vata befindet sich im Dickdarm, sei Sitz befindet sich in der unteren Körperhälfte, Unterleib und unterer Extremität.
Alles was den Eigenschaften der einzelnen Dosha-Elemente entspricht vertärkt sie. Gegenteilige Eigenschaften schwächen sie.
Kapha-Erkrankungen sind häufig Erkrankungen der Atemwege oder der Gelenke, alles was mit Verschleimung/ übermäßiger Schleimbildung oder Gewebe-Zubildung einher geht. Langsam wachsende Tumore gehören ebenso hier hin wie Gewichtsprobleme. Typisch sind Schwere, Lethargie und Bewegungsunlust.
Pitta-Erkrankungen sind Erkrankungen der Verdauungsorgane, Störungen der Stoffwechselfunktion mit Schwächung von Agni und in der Folge Blutunreinheiten und Hautprobleme.
Vata-Erkrankungen sind etwa Erkrankungen des Nervensystems mit Zittern, Missempfindungen, Schwindel, Nervosität, Deregenerative Erkrankungen, Verhärtungen, schnell wachsende und auszehrende Tumore, Traumata (wozu auch ´Zustände nach Operationen gehören)
Therapiemaßnahmen im Ayurveda
1. Verdauungsregulation
Stärkung von Agni, Beseitigung überschießender Doshas an ihren Wurzeln.
Dies ist die Basis für alles weitere.
2. Dosha-Ausgleich
Dosha regulierende Ernährung und Verhaltensweisen (Lifestyle)
3. Stressreduktion, physisch wie psychisch
Meditation, Yoga-Asanas bzw. sonstige bewusste Bewegung/- Körperübungen, Atemübungen, Mantras, Ragas (Klangtherapie), Aromatherapie
4. Bewusste Lebensweise, natürlicher Lifestyle
Vermeiden von Extremen, geordneter Tagesablauf im Einklang mit den Biorhythmen, Morgen- und Abendroutine (mit u.a. körperlichen Reinigungsritualen, Selbstmassegen, mentaler Hygiene), ayurvedische Ernährungsregeln (z.B. regional, saisonal, naturbelassen, Dosha-angepasst, bewusst genossen, gut gekaut – flüssiges essen, festes trinken)
5. Kräuter und Gewürze
Anwendbar u.a. in Kapselform, als Rasayana (Heilspeise mit verjüngender und vitalisierender Wirkung) oder als Ölanwendung
6. Detox
Ausleitung von Ama, Panchakarma
Panchakarma
Die berühmte Kuranwendung im Ayurveda zur Stoffwechselumstimmung, Reinigung, Balancierung und Nährung des gesamten Organismus wird Panchakarma genannt. Sie sollte mindestens 3 Wochen durchgeführt werden, um Wirkung zu erzielen, bei chronischen Erkrankungen 8 Wochen. Die Anwendung sollte im Idealfall in einer dafür eigens ausgestatteten Einrichtung statt finden oder zumindest unter Hinzuziehung eines darin ausgebildeten Therapeuten.
Panchakarma setzt sich zusammen aus 3 Phasen:
1. Purvakarma: Sanfte Vorbereitung zur Stärkung von Agni
Hier hin gehören:
- verdauungsfördernde Maßnahmen
- Schwitzen (Swedana)
- Ölanwendungen (Snehana), etwa äußerliche in Form von Massagen, Güssen oder Öl-Ziehen
2. Hauptteil, bestehend aus intensiven Ausleitungsverfahren zur Reinigung
Die 5 reinigenden Maßnahmen die der Kur ihren Namen gegeben haben (Pancha = fünf) sind:
- therapeutisches Erbrechen
- Abführen
- Einläufe
- Nasenreinigung (Nasya)
- Aderlass (Blutentzug, auch mit Hilfe von Blutegeln).
Dies entspricht in etwa den humoraltherapeutischen Verfahren zur Reinigung der Körpersäfte in der traditionellen Europäische Medizin, wie sie vor allem durch den Arzt Bernhard Aschner in der Neuzeit bekannt geworden sind.